Leila Al-Shami/Der ‚Antiimperialismus‘ der Idioten

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Der ‚Antiimperialismus‘ der Idioten

Leila Al-Shami, 14. April 2018, Übersetzung: Dagmar Schatz („The ‘anti-imperialism’ of idiots“)

Wieder einmal mobilisiert die westliche Anti-Kriegs-Bewegung zu Syrien Das ist das dritte Mal seit 2011. Das erste Mal 2013, als Obama darüber nachdachte, als Reaktion auf die Chemiewaffenangriffe auf Ghouta den militärischen Fähigkeiten des syrischen Regimes einen Schlag zu versetzen (doch es nicht tat) und eine rote Linie formulierte.

Das zweite Mal, als Donald Trump 2017, als Antwort auf die Chemiewaffenangriffe auf Khan Sheikhoun einen Angriff befohlen hatte, der eine leere Militärbasis des Regimes traf.

Und heute, da die USA, Großbritannien und Frankreich in einem begrenzten Rahmen mit Angriffen gegen militärische Liegenschaften und Fabriken für Chemiewaffen aktiv werden. Damit reagieren sie auf einen Angriff mit Chemiewaffen auf Douma, der mindestens 34 Menschen das Leben kostete, die in Kellern Schutz vor den Bomben gesucht hatten, darunter viele Kinder.

Das erste, das wir über diese drei großen Mobilisierungen der westlichen „Anti-Kriegs“-Linken zur Kenntnis nehmem müssen, ist, daß sie mit dem Ende des Krieges nichts zu tun haben. Mehr als eine halbe Million Syrer wurde seit 2011 getötet. Die überwiegende Mehrheit wurde durch konventionelle Waffen getötet, und 94% durch die syrisch-russisch-iranische Allianz. Dieser Krieg, der auf die brutale Niederschlagung friedlicher, pro-demokratischer Demonstrationen folgte, hat weder Empörung noch Besorgnis hervorgerufen. Man ist auch nicht empört, wenn Faßbomben, chemische Waffen und Napalm auf demokratische, selbstorganisierte Gemeinschaften geworfen wurden oder Krankenhäuser und Rettungskräfte zum Ziel wurden.

Zivilisten sind entbehrlich; die militärischen Fähigkeiten eines völkermörderischen, faschistischen Regimes sind es nicht.Tatsächlich meint der Slogan: „Hände weg von Syrien“ in Wirklichkeit „Hände weg von Assad“ und Russlands militärisches Eingreifen wird oft unterstützt. Das war am 13. April auf einer von der „Stop the War-Coalition“ organisierten Demonstration, auf der beschämenderweise eine große Anzahl Flaggen des syrischen Regimes und Russland mitgeführt wurden.

Diese Linke zeigt zutiefst autoritäre Tendenzen, die Staaten als politische Subjekte in das Zentrum der politischen Analyse stellen. Solidarität wird somit eher Staaten - die als Hauptakteure im Befreiungskampf gesehen werden - als unterdrückten und unterprivilegierten Gruppen in irgendeiner Gesellschaft - unabhängig davon, wie tyrannisch dieser Staat ist. Blind für den sozialen Krieg, der innerhalb Syrien selbst stattfindet, betrachtet sie die syrischen Menschen, dort, wo sie noch exisiteren, als bloße Figuren in einem geopolitischen Schachspiel. Sie wiederholt das Mantra „Assad ist der rechtmäßige Herrscher eines souveränen Landes“. Assad, der die Diktatur von seinem Vater geerbt hat, hat noch nie freie und faire Wahlen abgehalten, geschweige denn gewonnen.

Assad, dessen „syrische arabische Armee“ das Territorium, das sie verloren hat, nur mit einem Mischmasch an ausländischen Söldnern und unterstützt von ausländischen Bomben, die im großen und ganzen einheimische Rebellen und Zivilisten bekämpfen.

Wer von diesen Linken würde seine eigene gewählte Regierung als legitim betrachten, wenn sie mittels Massenvergewaltigungsfeldzügen gegen Dissidenten kämpfte? Nur die komplette Dehumanisierung der Menschen Syriens macht so eine Position überhaupt möglich. Das ist Rassismus, der Syrer als unfähgi sieht, etwas besseres als eine der brutalsten Diktaturen unserer Zeit zu erreichen oder gar zu verdienen.

Für diese autoritäre Linke erstreckt sich Unterstützung im Namen des „Antiimperialismus“ auf das Assad-Regime. Assad wird als Teil der „Achse des Widerstandes“ gegen sowohl das US-Regime als auch den Zionismus gesehen.Dabei zählt es wenig, daß das Assad-Regime selbst den ersten Golfkriege unterstützt hat oder am illegalen US-Überstellungsprogramm teilnahm, im Rahmen dessen Terrorverdächtige in Syrien im Auftrag der CIA gefoltert wurden. Die Tatsache, dass dieses Regime wahrscheinlich den zweifelhaften Vorzug hat, mehr Palästinenser abzuschlachten als der israelische Staat, wird ständig übersehen, ebenso wie die Tatsache, dass es eher darauf bedacht ist, seine Streitkräfte zu benutzen, um den internen Dissens zu unterdrücken, als den von Israel besetzten Golan zu befreien.

Dieser „Antiimperialismus“ der Idioten ist einer, der Imperialismus allein mit den Aktionen der USA gleichsetzt. Es scheint ihnen nicht bewusst zu sein,daß die USA Syrien seit 2014 bombardieren. Im Feldzug zur Befreiung Von Raqqa von Daesh wurden alle völkerrechtlichen Normen und die Überlegungen zur Verhältnismässigkeit verlassen. Mehr als 1.000 Zivilisten wurden getötet und die Vereinten Nationen schätzen, daß 80 Prozent der Stadt nun unbewohnbar sind.

Von den führenden „Anti-Kriegs“- Organisationen wurden weder Proteste gegen diese Intervention organsiert, noch Rufe,daß man Zivilisten und zivile Infrastruktur schützen möge. Stattdessen übernahmen sie den Diskurs „Kampf gegen den Terror“, einst den Neocons vorbehalten, nun vom Regime verkündet, nachdem die gesamte Opposition gegen Assad Jihadi-Terroristen seien. Sie verschlossen die Augen davor, daß Assad seine Gulags mit säkularen, friedlichen pro-Demokratie-Demonstranten zwecks Folter und Tod füllte, während er die militanten Islamisten aus dem Gefängnis entließ. Genauso werden die fortgesetzten Proteste in den befreiten Gebieten gegen extremistische und autoritäre Gruppen wie Daesh, Nusra und Ahrar al-Sham ignoriert. Syrern wird die Gewandtheit nicht zugestanden, eine Vielfalt von Ansichten zu haben. Aktivisten der Zivilgesellschaft (einschließlich vieler erstaunlicher Frauen), Bürgerjournalisten, humanitäre Helfer sind irrelevant. Die gesamte Opposition wird auf ihre autoritärsten Elemente reduziert oder als bloße Kanäle für ausländische Interessen angesehen.

Diese Pro-faschistische Linke scheint blindzu sein für jegliche nicht-westliche Form von Imperialismus. Sie kombiniert identitäre Politik mit Egoismus. Alles, was passiert, wird durch die Brille der Frage gesehen, was es denn für die Westler bedeutet - nur Weiße haben die Macht, Geschichte zu machen.

Gemäß Pentagon sind gegenwärtig ungefähr 2000 amerikanische Soldaten in Syrien. Zum ersten Mal in der Geschichte Syriens haben die USA eine Reihe von Militärbasen im kurdisch-kontrollierten Norden errichtet.

Das sollte jeden mit Besorgnis erfüllen, der die Selbstbestimmung Syriens unterstützt, doch es verblasst gegenüber zehntausenden iranischen Soldaten und vom Iran unterstützten Shia-Milizen, die nun große Teile des Landes besetzen oder die mörderischen Bombenangriffe, die durch die russische Luftwaffe ausgeführt werden, um die faschistische Diktatur zu unterstützen.

Russland hat jetzt permanente Militärbasen im Land eingerichtet und bekam, als Belohnung für seine Unterstützung, exklusive Rechte am syrischen Öl und Gas.

Noam Chomsky meinte einmal, daß die Intervention Russlands nicht als Imperialismus bezeichnet werden könne, denn Russland sei ja durch das syrische Regime eingeladen worden, Bomben auf das Land abzuwerfen. In dieser Logik war die US-Intervention in Vietnam auch kein Imperialismus, denn die USA konnten sich ja durch die südvietnamesische Regierung eingeladen fühlen.

Eine Menge von Anti-Kriegs-Organisationen rechtfertigen ihr Schweigen über die Intervention Russlands und des Irans mit dem Satz: „Der Hauptfeind steht im eigenen Land“. Das entschuldigt für sie, daß sie keinerlei ernsthafte Machtanalyse unternehmen, um zu bestimmen, wer in diesem Krieg die Hauptakteure, die treibenden Kräfte dieses Krieges sind.

Für Syrer steht der Hauptfeind in der Tat im eigenen Land - es ist Assad, der sich an dem beteiligt, was die UNO als „Verbrechen der Ausrottung - (crime of extermination)“ bezeichnet hat.

Ohne sich ihrer eigenen Widersprüche bewusst zu sein, haben sich viele der gleichen Stimmen (und dies zu Recht) vehement gegen Israels aktuellen Angriff auf friedliche Demonstranten in Gaza gerichtet.

Natürlich ist einer der Hauptwege, auf denen der Imperialismus funktioniert, der Verzicht auf einheimische Stimmen. In diesem Sinne veranstalten führende westliche Antikriegsorganisationen Konferenzen zu Syrien, ohne dass syrische Sprecher eingeladen werden.

Die andere politische Kraft, die ihr Gewicht für das Assad-Regime in die Waagschale wirft und sich gegen die Luftschläge der USA, Großbritanniens und Frankreich organisiert, ist die extreme Rechte.

Heute ist der Diskurs der Faschisten und dieser „antiimperialistischen Linken“ praktisch nicht zu unterscheiden. In den USA sind der weiße Rassist Richard Spencer, der rechte rechte Moderator Mike Enoch und die Anti-Einwanderungsaktivistin Ann Coulter gegen die US-Luftschläge. In Großbritannien schließen sich der ehemalige BNP-Führer Nick Griffin und die islamophobe Katie Hopkins den Aufrufen an.

Der Punkt, an dem sich Alt-Rechts und Alt-Links häufig treffen, ist der, verschiedene Verschwörungstheorien zu propagieren, um das Regime seiner Verbrechen freizusprechen. Sie behaupten, chemische Massaker seien False-Flag-Aktionen, oder die Rettungskräfte Kräfte vonAl-Qaida und daher legitime Angriffsziele. Diejenigen, die solche Berichte verbreiten, sind in Syrien nicht vor Ort und können ihre Behauptungen nicht unabhängig überprüfen.

Sie sind oft abhängig von russischen oder Assad-Propaganda-Medien, weil sie weder „den MSM“ vertrauen noch direkt betroffenen Syrern. Manchmal wird die Konvergenz dieser beiden scheinbar gegensätzlichen Stränge des politischen Spektrums zu einer direkten Zusammenarbeit.

Die ANSWER-Koalition, die viele der Demonstrationen gegen einen Angriff auf Assad in den USA organisiert, hat eine solche Geschichte. Beide Ränder fördern häufig islamophobe und antisemitische Narrative. Beide teilen die gleichen Gesprächsthemen und die gleichen Meme.

Es gibt viele gute Gründe, sich gegen eine externe militärische Intervention in Syrien zu stellen, sei es durch die USA, Russland, den Iran oder die Türkei. Keiner dieser Staaten handelt im Interesse des syrischen Volkes, der Demokratie oder der Menschenrechte. Sie handeln ausschließlich in ihrem eigenen Interesse. Bei der amerikanischen, britischen und französischen Intervention geht heute weniger darum, Syrer vor Massengräueln zu schützen, als vielmehr um die Durchsetzung einer internationalen Norm, die die Verwendung chemischer Waffen inakzeptabel macht, damit sie eines Tages nicht auch gegen westliche Bürger eingesetzt werden. Mehr ausländische Bomben werden nicht zu Frieden und Stabilität führen.

Es gibt wenig Neigung, Assad von der Macht zu verdrängen, was dazu beitragen würde, die schlimmsten Grausamkeiten zu beenden. Doch wenn man sich gegen ausländische Intervention wendet, muss man eine Alternative haben um die Syrer vor dem Abschlachten zu schützen. Es ist moralisch fragwürdig, zu erwarten, dass die Syrer mindestens einfach den Mund halten und sterben, um das höhere Prinzip des „Antiimperialismus“ zu schützen. Viele Alternativen zu ausländischer Militärintervention wurden von Syrern immer wieder vorgeschlagen und ignoriert. Und so bleibt die Frage: Wenn diplomatische Optionen gescheitert sind, wenn ein Völkermordregime vor der Verurteilung von mächtigen internationalen Unterstützern geschützt wird, wenn keine Fortschritte gemacht werden, die täglichen Bombenangriffe zu stoppen, Hungerbelagerungen zu beenden oder Gefangene zu entlassen, die industriell gefoltert werden, was kann da schon getan werden.

Ich habe keine Antwort mehr. Ich habe mich konsequent gegen jede ausländische Militärintervention in Syrien gewehrt, den von Syrern geführten Kampf unterstützt, ihr Land von einem Tyrannen zu befreien, und ich habe internationale Prozesseunterstützt, die auf dem Schutz von Zivilisten und Menschenrechten beruhen und für alle Kriegsverbrecher sicherstellen, dsß sie zur Verantwortung gezogen werden. Eine Verhandlungslösung ist der einzige Weg, diesen Krieg zu beenden - und scheint immer noch so weit weg wie immer. Assad (und seine Hintermänner) sind entschlossen, jeden Prozess zu vereiteln, einen totalen militärischen Sieg anzustreben und jede verbleibende demokratische Alternative zu vernichten. Hunderte von Syrern werden jede Woche auf die barbarischste Weise getötet, die man sich vorstellen kann. Extremistische Gruppen und Ideologien gedeihen in dem Staatschaos. Zivilpersonen fliehen weiterhin zu Tausenden, da Rechtsprozeduren - wie das Gesetz Nr. 10 - eingeführt werden, um sicherzustellen, dass sie niemals in ihre Häuser zurückkehren werden.

Das internationale System selbst kollabiert unter der Last seiner eigenen Impotenz. Die Worte „Nie wieder“ klingen leer. Es gibt keine große Volksbewegung, die sich mit den Opfern solidarisiert. Sie werden stattdessen verleumdet, ihr Leiden wird verspottet oder geleugnet, und ihre Stimmen werden von den Menschen fern gehalten oder in Frage gestellt von Leuten, die nichts von Syrien, Revolution oder Krieg wissen und die arrogant glauben zu wissen, was das Beste ist. Es ist diese verzweifelte Situation, die viele Syrer dazu bringt, die Aktionen der USA, des Vereinigten Königreichs und Frankreichs zu begrüßen, und die jetzt, trotz der Risiken, die sie mit sich bringt, eine ausländische Intervention als einzige Hoffnung sehen.

Eines ist sicher: ich werde durch gezielte Luftangrffe auf Militärbasen und Chemiewaffenanlagen, die den Syrern eine kurze Pause vom täglichen Töten bieten, keine schlaflosen Nächte haben.. Und ich will niemals Menschen sehen, die große Erzählungen über gelebte Realitäten stellen, die brutale Regime in fernen Ländern unterstützen oder die als Verbündete Rassismus, Verschwörungstheorien und das Leugnen von Gräueltaten betreiben.