Roger Waters

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Roger Waters: „Bringt eure Regierungen dazu, den Krieg zu beenden“ Roger Waters steht wegen seiner Ukraine- und Israel-Aussagen in der Kritik. Seine Konzerte in Deutschland sollen ausfallen. Was sagt er dazu? Ein Gespräch in Südengland.

Interview

Tomasz Kurianowicz , Max Kühlem 03.02.202 Roger Waters empfing die Berliner Zeitung zu Hause in England. Roger Waters empfing die Berliner Zeitung zu Hause in England. Paulus Ponizak/Berliner Zeitung Wegen Roger Waters’ umstrittenen Äußerungen zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine und zur Politik des Staates Israel wurde bereits eines seiner Konzerte in Polen abgesagt. In Deutschland fordern jüdische und christliche Organisationen dasselbe – für Berlin, aber auch für Köln und Frankfurt. Zeit für ein Gespräch mit dem 79-jährigen Musiker: Meint er seine Aussagen wirklich ernst? Oder wird er einfach nur missverstanden?

Roger Waters empfängt uns in seinem Haus in Südengland – freundlich, unprätentiös, aber bestimmt. So wird seine Haltung während des ganzen Gesprächs sein. Zunächst aber will er seinen Besuchern etwas Besonderes vorführen: Im Studio seines Hauses spielt er drei Titel aus einer Neuaufnahme von „The Dark Side of the Moon“ vor, drei neu interpretierte Stücke aus dem legendären Album, das nun im März seinen 50. Geburtstag feiern wird. „Das neue Konzept soll die Bedeutung des Werks reflektieren und das Herz und die Seele des Albums zum Vorschein bringen, musikalisch und spirituell“, sagt Waters. „Auf diesen Aufnahmen singe nur ich meine Lieder. Und es gibt keine Rockgitarren oder Ähnliches.“

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Die Sprechgesänge, die über Instrumentalstücke wie „On The Run“ oder „The Great Gig in the Sky“ und über „Speak To Me“, „Brain Damage“, „Any Colour You Like“ gelegt werden, sollen sein „Mantra“ verdeutlichen, das er als zentral für sein gesamtes Werk betrachtet: „Es geht um die Stimme der Vernunft. Und die sagt: Was wichtig ist, ist nicht die Macht unserer Könige und Führer oder ihre sogenannte Verbindung zu Gott. Was wirklich wichtig ist, ist die Verbindung zwischen uns Menschen, der gesamten menschlichen Gemeinschaft. Wir Menschen sind über den ganzen Erdball verstreut. Aber wir sind alle miteinander verwandt, weil wir alle aus Afrika stammen. Wir sind alle Brüder und Schwestern oder zumindest entfernte Cousins und Cousinen. Aber die Art und Weise, wie wir miteinander umgehen, zerstört unsere Heimat, den Planeten Erde, schneller, als wir es uns vorstellen können.“ Und schon sind wir mitten im Gespräch.

Berliner Zeitung: Herr Waters, Sie sprechen von der Stimme der Vernunft, von der tiefen Verbundenheit aller Menschen. Aber wenn es um den Krieg in der Ukraine geht, reden Sie viel über die Fehler der USA und des Westens, nicht über den Krieg Russlands und die russische Aggression. Warum verurteilen Sie nicht die von Russland begangenen Taten? Sie haben Pussy Riot und andere Menschenrechtsorganisationen in Russland unterstützt. Warum kritisieren Sie Putin nicht deutlich?

Roger Waters: Zunächst einmal, wenn Sie meinen Brief an Putin und meine Schriften zu Beginn des Krieges im Februar lesen ...

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... Sie nannten Putin einen „Gangster“ ...

... genau, das habe ich. Aber vielleicht musste ich meine Meinung im vergangenen Jahr ändern. Es gibt einen Podcast namens „The Duran“. Die Moderatoren sprechen Russisch und können Putins Reden im Original lesen. Ihre Kommentare dazu ergeben in meinen Augen Sinn. Der wichtigste Grund für westliche Waffenlieferungen an die Ukraine ist sicherlich der Profit der Rüstungsindustrie. Und ich frage mich: Ist Putin ein größerer Gangster als Joe Biden und alle, die seit dem Zweiten Weltkrieg die amerikanische Politik bestimmen? Ich bin mir da nicht so sicher. Putin hat weder Vietnam noch den Irak überfallen. Oder?

Der wichtigste Grund für Waffenlieferungen ist der folgende: Es geht darum, die Ukraine zu unterstützen, den Krieg zu gewinnen und die russische Aggression zu stoppen. Sie scheinen das anders zu sehen.

Ja. Vielleicht sollte ich das nicht, aber ich bin jetzt offener für das, was Putin tatsächlich sagt. Unabhängigen Stimmen zufolge regiert er behutsam und trifft Entscheidungen auf Grundlage eines Konsenses, der innerhalb der Regierung der Russischen Föderation vorherrscht. Auch in Russland gibt es kritische Intellektuelle, die seit den 50er-Jahren gegen den amerikanischen Imperialismus argumentieren. Und ein zentraler Satz war immer: Die Ukraine ist eine rote Linie. Die Ukraine muss ein neutraler Pufferstaat bleiben. Wenn sie das nicht bleibt, wissen wir nicht, wohin das führen wird. Wir wissen es immer noch nicht, aber es könnte in einem Dritten Weltkrieg enden.

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Im Februar 2022 war es Putin, der sich zum Angriff entschloss.

Er hat eine, wie er es immer noch nennt, „militärische Spezialoperation“ gestartet. Er leitete sie auf einer Basis von Gründen ein, die, wenn ich sie richtig verstanden habe, folgende sind: Erstens will er den potenziellen Völkermord an der russischsprachigen Bevölkerung im Donbass verhindern. Zweitens: Er will den Faschismus in der Ukraine bekämpfen. Es gibt ein junges ukrainisches Mädchen, Alina, mit dem ich lange Briefe ausgetauscht habe: „Ich höre dich. Ich verstehe deinen Schmerz.“ Sie antwortete mir, bedankte sich, betonte aber: „Ich bin mir sicher, dass du dich in einem Punkt irrst: Ich bin mir zu 200 Prozent sicher, dass es in der Ukraine keine Nazis gibt.“ Ich antwortete: „Es tut mir leid, Alina, aber da irrst du dich. Wie kannst du in der Ukraine leben und das nicht wissen?“

Roger Waters bei einem Konzert Roger Waters bei einem Konzert Stanislav Zbynek/imago Es gibt keine Beweise dafür, dass in der Ukraine ein Völkermord drohte. Gleichzeitig hat Putin wiederholt betont, dass er die Ukraine zurück in sein Reich holen wolle. Der ehemaligen deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte Putin, der traurigste Tag in seinem Leben sei 1991 gewesen, als die Sowjetunion zusammenbrach.

Ist der Wortursprung von „Ukraine“ nicht das russische Wort für „Grenzland“? Das Land war lange Zeit Teil Russlands und der Sowjetunion. Es geht hier um eine schwierige Geschichte. Ich glaube, während des Zweiten Weltkriegs entschied sich ein großer Teil der Bevölkerung der Westukraine für die Kollaboration mit den Nazis. Sie töteten Juden, Roma, Kommunisten und alle anderen Menschen, die das Dritte Reich tot sehen wollte. Bis heute gibt es den Konflikt zwischen der Westukraine (mit dem Teil mit oder ohne Nazis, Alina) und der Ost- und Südukraine (also Donbass und Krim). Man muss bedenken: Es gibt viele russischsprachige Ukrainer, weil das Land Hunderte Jahre lang ein Teil Russlands war. Wie kann man ein solches Problem lösen? Weder die Regierung in Kiew noch die Russen können es lösen, indem sie gewinnen. Putin hat immer betont, dass er kein Interesse daran habe, die Westukraine zu übernehmen – oder in Polen oder in ein anderes Land jenseits der Grenze einzufallen. Was er damit sagen will, ist, dass er die russischsprachige Bevölkerung in den Teilen der Ukraine schützen will, in denen jene sich durch die rechtsextremen Regierungen in Kiew nach dem Maidan-Putsch bedroht fühlt. Ein Putsch, von dem weithin angenommen wird, dass er von den USA orchestriert wurde.

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Wir haben mit Ukrainern gesprochen, die das Gegenteil beweisen können. Die USA mögen die Proteste 2014 unterstützt haben, aber insgesamt deuten seriöse Quellen und Augenzeugenberichte darauf hin, dass die Proteste von innen heraus entstanden sind – durch den Willen des ukrainischen Volkes.

Ich frage mich, mit welchen Ukrainern Sie gesprochen haben. Ich kann mir vorstellen, dass einige das behaupten. Auf der anderen Seite hat eine große Mehrheit der Ukrainer auf der Krim und im Donbass in Referenden für den Wiederanschluss an die Russische Föderation gestimmt.

Im Februar waren Sie überrascht, dass Putin die Ukraine angegriffen hat. Wie können Sie so sicher sein, dass er nicht noch weiter gehen wird? Ihr Vertrauen in Russland scheint trotz des blutigen Angriffskrieges nicht erschüttert zu sein.

Wie kann ich sicher sein, dass die USA nicht riskieren, einen Atomkrieg mit China zu beginnen? Sie provozieren die Chinesen bereits, indem sie sich in Taiwan einmischen. Am liebsten würden sie zuerst Russland vernichten. Jeder mit einem IQ über Zimmertemperatur versteht das, wenn er die Nachrichten liest. Die Amerikaner geben das auch zu.

Sie irritieren viele Menschen, weil es immer so klingt, als würden Sie Putin verteidigen.

Im Vergleich zu Biden tue ich das auch. Die Provokationen der USA und der Nato vor dem Februar 2022 waren extrem und sehr schädlich für die Interessen aller einfachen Menschen in Europa.

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Sie würden Russland nicht boykottieren?

Ich denke, das ist kontraproduktiv. Sie leben doch in Europa. Wie viel verlangen die USA für Gaslieferungen? Fünfmal so viel, wie die eigenen Bürger zahlen. In England heißt es jetzt „eat or heat“, heize oder esse. Denn die ärmeren Bevölkerungsschichten können es sich kaum leisten, ihre Häuser zu heizen. Die westlichen Regierungen sollten erkennen, dass wir alle Brüder und Schwestern sind. Im Zweiten Weltkrieg hat man gesehen, was passiert, wenn man versucht, einen Krieg gegen Russland zu führen. Die Russen werden sich zusammenschließen und bis zum letzten Rubel und bis zum letzten Quadratmeter Boden kämpfen, um ihr Mutterland zu verteidigen. So wie es jeder tun würde. Ich denke, wenn die USA ihre eigenen Bürger und Sie und viele andere Menschen davon überzeugen könnten, dass Russland der wahre Feind und Putin der neue Hitler sei, wird es ihnen leichter fallen, von den Armen zu stehlen, um es den Reichen zu geben – und noch mehr Kriege zu beginnen und zu fördern, wie diesen Stellvertreterkrieg in der Ukraine.

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Das mag Ihnen wie eine extreme politische Haltung vorkommen, aber vielleicht sind die Geschichtsbücher, die ich lese, und die Nachrichten, die ich bekomme, einfach andere als die ihrigen. Man kann nicht alles glauben, was man im Fernsehen sieht oder in den Zeitungen liest. Alles, was ich mit meinen neuen Musikaufnahmen, meinen Statements und Auftritten zu erreichen versuche, ist, dass unsere Brüder und Schwestern an der Macht den Krieg beenden – und dass die Menschen verstehen, dass unsere Brüder und Schwestern in Russland nicht unter einer repressiven Diktatur leben, genauso wenig wie Sie in Deutschland oder ich in den USA. Ich meine, würden wir uns dafür entscheiden, weiterhin junge Ukrainer und Russen abzuschlachten, wenn wir die Macht hätten, es zu beenden?

Wir können dieses Interview führen, in Russland wäre das nicht so einfach . Was wäre Ihr politischer Gegenvorschlag für eine sinnvolle Ukrainepolitik des Westens?

Wir müssen alle unsere Staats- und Regierungschefs an einen Tisch bringen und sie zwingen zu sagen: „Kein Krieg mehr!“ Das wäre der Punkt, an dem der Dialog beginnen kann.

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Können Sie sich vorstellen, in Russland zu leben?

Ja, natürlich, warum nicht? Es wäre dasselbe wie mit meinen Nachbarn hier im Süden Englands. Wir könnten in den Pub gehen und offen reden – solange diese Russen nicht in den Krieg ziehen und Amerikaner oder Ukrainer töten. Okay? Solange wir miteinander Handel treiben, uns gegenseitig Gas verkaufen und dafür sorgen, dass wir es im Winter warm haben, geht es uns gut. Die Russen sind nicht anders als Sie und ich: Es gibt gute Menschen und es gibt Idioten – wie überall sonst auch.

Fans auf einem Roger-Waters-Konzert Fans auf einem Roger-Waters-Konzert Stanislav Zbynek/imago Warum treten Sie dann nicht in Russland auf?

Nicht aus ideologischen Gründen. Es ist einfach im Moment nicht möglich. Ich boykottiere Russland nicht, das wäre lächerlich. Ich spiele 38 Konzerte in den USA. Wenn ich irgendein Land aus politischen Gründen boykottieren würde, dann wären es die USA. Sie sind der Hauptaggressor.

Wenn man den Konflikt neutral betrachtet, muss man Putin als den Aggressor sehen. Glauben Sie, wir sind alle einer Gehirnwäsche unterzogen worden?

Ja, das tue ich in der Tat, definitiv. Gehirnwäsche, Sie sagen es.

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Weil wir die westlichen Medien konsumieren?

Ganz genau. Was allen im Westen erzählt wird, ist das Narrativ der „unprovozierten Invasion“. Hm? Jeder, der nur halbwegs bei Verstand ist, kann erkennen, dass der Konflikt in der Ukraine über alle Maßen provoziert wurde. Es ist wahrscheinlich die am meisten provozierte Invasion aller Zeiten.

Als Ihre Konzerte in Polen wegen Ihrer Äußerungen zum Krieg in der Ukraine abgesagt wurden, haben Sie sich da missverstanden gefühlt?

Ja, das ist ein großer Rückschritt. Es ist ein Ausdruck von Russophobie. Die Menschen in Polen sind offensichtlich genauso empfänglich für westliche Propaganda. Ich würde zu ihnen sagen wollen: Ihr seid Brüder und Schwestern, bringt eure Regierungen dazu, den Krieg zu beenden, damit wir einen Moment innehalten und überlegen können: Worum geht es in diesem Krieg? Es geht darum, die Reichen in den westlichen Ländern noch reicher und die Armen überall noch ärmer zu machen. Das Gegenteil von Robin Hood. Jeff Bezos hat ein Vermögen von rund 200 Milliarden Dollar, während Tausende von Menschen allein in Washington D.C. in Pappkartons auf der Straße leben.

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Die Ukrainer stehen auf, um ihr Land zu verteidigen. Das sehen auch die meisten Menschen in Deutschland so, weshalb Ihre Äußerungen Bestürzung, ja Wut auslösen. Ihre Aussagen zu Israel sind ebenfalls sehr problematisch. Auch deshalb gibt es jetzt eine Diskussion darüber, ob Ihre Konzerte in Deutschland abgesagt werden sollen. Wie reagieren Sie darauf?

Ach wissen Sie, es sind politische Lobbyaktivisten wie Malca Goldstein-Wolf, die das fordern. Das ist idiotisch. Die haben schon 2017 versucht, mein Konzert in Köln zu verhindern und sogar die lokalen Radiosender dazu gebracht mitzumachen.

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Als Engländer haben Sie einen ganz anderen Blick auf die Geschichte des Staates Israel als wir Deutschen. Bei uns wird mit Kritik an Israel aus guten Gründen vorsichtig umgegangen; Deutschland hat eine historische Schuld, der das Land gerecht werden muss.

Das verstehe ich sehr gut, und ich versuche seit 20 Jahren, damit umzugehen. Aber ich denke, Ihre Schuld, wie Sie es ausdrücken, Ihr nationales Schuldgefühl für das, was die Nazis zwischen 1933 und 1945 getan haben, sollte nicht dazu führen, dass Ihre ganze Gesellschaft mit Scheuklappen in Bezug auf Israel herumläuft. Wäre es nicht besser, wenn es Sie vielmehr anspornen würde, alle Scheuklappen abzulegen und sich für gleiche Menschenrechte für alle ihre Brüder und Schwestern auf der ganzen Welt einzusetzen, unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität? Es gibt heute viele Menschen in Deutschland und natürlich auch viele jüdische Menschen in Israel, die offen für eine andere Sichtweise auf Israel sind. Ich sehe das immer deutlicher, seit ich Teil der BDS-Bewegung bin (Boykott, Desinvestition und Sanktionen gegen Israel, Anm. d. Red.).

BDS-Positionen werden vom Deutschen Bundestag sanktioniert. Ein Erfolg der BDS-Bewegung leistet unstrittig antisemitischen Strömungen Vorschub und könnte letztlich das Ende des Staates Israel bedeuten. Sehen Sie das anders?

Ja, Israel könnte seine Gesetze ändern. Sie könnten sagen: Wir haben unsere Meinung geändert, es ist erlaubt, dass Menschen Rechte haben, auch wenn sie keine Juden sind. Das wäre es dann. Dann bräuchten wir BDS nicht mehr.

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Haben Sie Freunde verloren, weil Sie für BDS aktiv sind?

Es ist interessant, dass Sie das fragen. Ich weiß es nicht genau, aber ich bezweifle es sehr. Eine Freundschaft ist eine mächtige Sache. Ich würde sagen, ich hatte in meinem Leben etwa zehn echte Freunde. Ich könnte keinen einzigen Freund wegen meiner politischen Ansichten verlieren, denn Freunde lieben einander, Freundschaft erzeugt Gespräche, und Gespräche erzeugen Verständnis. Wenn ein Freund sagen würde: Roger, ich habe gesehen, dass du während deiner Wall-Konzerte ein aufblasbares Schwein mit einem Davidstern geflogen hast, dann erkläre ich ihm den Kontext und dass nichts Antisemitisches beabsichtigt oder ausgedrückt wurde.

Was ist der Kontext?

Das war während des Songs „Goodbye Blue Sky“ in der „The Wall“-Show. Damit der Zusammenhang erkennbar wird, sieht man auf einem runden Bildschirm hinter der Band B52-Bomber. Aber sie werfen keine Bomben ab, sondern Symbole: Dollarzeichen, Kruzifixe, Hammer und Sichel, Stern und Halbmond, das McDonald’s-Zeichen – und den Stern Davids. Dies ist eine theatralische Satire, ein Ausdruck meiner Überzeugung, dass die Entfesselung dieser Ideologien oder Produkte auf die Menschen vor Ort ein Akt der Aggression ist, das Gegenteil von Menschlichkeit, das Gegenteil von Liebe und Frieden unter uns Brüdern und Schwestern. Ich will damit sagen, dass in den falschen Händen alle Ideologien, die diese Symbole repräsentieren, böse sein können.

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Was ist Ihre Ideologie? Sind Sie ein Anarchist?

Ich bezeichne mich als Humanisten, als Weltbürger. Und meine Loyalität und mein Respekt gehören allen Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft, Nationalität oder Religion.

Würden Sie heute noch in Israel auftreten, wenn man Sie ließe?

Nein, natürlich nicht. Das wäre eine Überschreitung der Streikpostenkette. Ich habe jahrelang Briefe an Kollegen aus der Musikindustrie geschrieben, um sie davon zu überzeugen, nicht in Israel aufzutreten. Manchmal sind sie anderer Meinung und sagen: Aber die Auftritte sind ein Weg, um Frieden zu schaffen. Wir sollten nach Israel gehen und versuchen, die Menschen vor Ort davon zu überzeugen, Frieden zu schließen ... Nun, wir haben alle ein Recht auf unsere Meinung, aber 2005 bat mich die gesamte palästinensische Zivilgesellschaft, einen kulturellen Boykott zu unterstützen, und wer bin ich, einer ganzen Gesellschaft, die unter einer brutalen Besatzung lebt, zu sagen, dass ich es besser weiß als sie?

Es ist sehr provokant zu sagen, dass Sie in Moskau spielen würden, aber nicht in Israel. In Russland werden ethnische Minderheiten stark diskriminiert. Unter anderem werden mehr ethnische Nichtrussen in den Krieg geschickt als ethnische Russen.

Sie scheinen von mir zu verlangen, dass ich Russland aus der derzeitigen russophobischen Perspektive sehe. Ich sehe das anders, obwohl ich, wie gesagt, weder Russisch spreche noch in Russland lebe, mich also auf unbekanntem Terrain befinde.

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Wie gefällt Ihnen die Tatsache, dass Pink Floyd zum ersten Mal seit 30 Jahren ein neues Stück aufgenommen haben – mit dem ukrainischen Musiker Andrij Chlywnjuk?

Ich habe das Video gesehen und bin nicht überrascht, aber ich finde es sehr, sehr traurig. Es ist so befremdlich für mich, diese Aktion ist so wenig menschlich. Es ermutigt die Fortsetzung des Krieges. Pink Floyd ist ein Name, mit dem ich früher viel zu tun hatte. Das war eine große Zeit in meinem Leben, eine sehr große Sache. Diesen Namen jetzt mit so etwas wie einem Stellvertreterkrieg in Verbindung zu bringen, macht mich traurig. Ich meine, es geht nicht darum, zu fordern: Stoppt den Krieg, stoppt das Gemetzel, bringt unsere Regierungschefs ins Gespräch! Es ist nur dieses inhaltslose Schwenken der blau-gelben Flagge. In einem meiner Briefe an die ukrainische Teenagerin Alina schrieb ich:„ Ich werde in diesem Konflikt keine Flagge hissen, keine ukrainische Flagge, keine russische Flagge, keine amerikanische Flagge.“

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Nach dem Fall der Mauer haben Sie „The Wall“ im wiedervereinigten Berlin aufgeführt, sicherlich mit optimistischen Erwartungen an die Zukunft. Dachten Sie, Sie könnten auch mit Ihrer eigenen Kunst zu dieser Zukunft beitragen, etwas bewirken?

Daran glaube ich auch heute noch. Wenn man politische Prinzipien hat und Künstler ist, dann sind die beiden Bereiche untrennbar miteinander verbunden. Das ist übrigens ein Grund, warum ich Pink Floyd verlassen habe: Ich hatte diese Prinzipien, die anderen hatten sie entweder nicht oder andere.

Roger Waters  Roger Waters Paulus Ponizak/Berliner Zeitung Sehen Sie sich heute als beides: Musiker und politischer Aktivist?

Manchmal neige ich zu dem einen, manchmal zu dem anderen.

Wird Ihre aktuelle Tournee wirklich Ihre letzte sein?

(Lacht) Ich habe keine Ahnung. Die Tournee trägt den Untertitel „The First Farewell Tour“, und das ist ein offensichtlicher Witz, denn alte Rockstars nutzen die Abschiedstournee routinemäßig als Verkaufsargument. Danach gehen sie manchmal in den Ruhestand und manchmal auf eine weitere finale Abschiedstournee.

Sie wollen weiterhin etwas in die Welt senden, etwas bewirken.

Ich liebe gute Musik, ich liebe gute Literatur – vor allem englische und russische, aber auch deutsche. Deshalb mag ich die Vorstellung, dass die Leute mitkriegen und verstehen, was ich tue.

Warum halten Sie sich dann nicht mit politischen Aussagen zurück?

Weil ich bin, wer ich bin. Wenn ich nicht dieser Mensch mit starken politischen Überzeugungen wäre, hätte ich nicht ‚‚The Dark Side of the Moon‘‘, „The Wall“, „Wish You Were Here“, „Amused to Death“ und all die anderen Sachen geschrieben.

Vielen Dank für das Interview.

Roger Waters tritt mit seiner „This Is Not A Drill Tour“ am 17. und 18. Mai 2023 in Berlin auf. Am 7. Mai spielt er in Hamburg, am 9. Mai in Köln, am 21. Mai in München und am 28. Mai in Frankfurt.

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